Erwin Steiner: Wirksame Titel-Gestaltung, undat.
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Erwin Steiner: „Wirksame Titel-Gestaltung“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de
Ueberreicht von
Erwin Steiner, München
Türkenstr. 103/3 u. 4
Wirksame Titel-Gestaltung.
Ein Film blendet auf. Was uns zuerst in die Augen springt, sind seine einleitenden Titel. Inhaltlich klar und straff gefaßt, äußerlich mit den formalen Mitteln der Linie und der Bewegung, die Schrift und Trick in sich schließen kennzeichnen diese Titel das Filmthema und vermögen spontanes Interesse und gesteigerte Aufnahmefreudigkeit für das Kommende zu erwecken. Dagegen hat ein phantasielos betitelter Film, dessen schablonenmäßige Lettern in Widerspruch zu seiner optischen, lebendigen Auffaßung stehen, in seinen ersten Bildern gerade genug zu tun, unser Vertrauen zurückzugewinnen. Diese starke Suggestionskraft des Titels, die gerade der Gedrängtheit geistiger und formaler Ausdrucksweisen entspringt, erkennt selbst der Tonfilm an: Nach wenigen Versuchen, im Anfangsstadium, einleitende Titel durch gesprochene Worte zu ersetzen, greift er bald auf den in der Stummfilmzeit entwickelten, künstlerischen Titelstil zurück. Mehr noch, er vertieft ihn zu einer früher nie erreichten Wirkung.
Ein Filmamateur, der bei der Planung und Gestaltung seiner Filme ein geschlossenes Ganzes anstrebt, wird die Anwendung der Titel nicht immer auf die Einleitung beschränken. Für sein künstlerisches Ziel gewinnt die Betitelung als verbindendes, erklärendes, eine Handlung vorwärtstreibendes Element an Bedeutung. Da ferner Filmtitel nicht aus Selbstzweck geboren werden, um etwa eine schöne Schrift zu zeigen, sondern über das, was sie zu sagen haben, hinaus Probleme des Schneidens und des Tempos sind, lohnt es sich, auf ihre Stellung zum bewegten Bild näher einzugehen:
Zuerst ein Gleichnis: Ein Reporter und ein Kameramann finden sich auf einem Sportplatz ein, in der gleichen Absicht, mittels der Eigenart ihrer Technik weiteste Kreise das Ereignis, z. B. ein Fußballspiel, miterleben zu lassen. Sie erreichen dasselbe Ziel durch eine verschiedene Mentalität: Das Wort schöpft aus der Gedankentiefe, die nur ein Hintereinander kennt, während der Oberflächen Charakter des Films seine Eindrücke nebeneinander reiht. Aus dieser Verschiedenheit
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der Mittel, mit welchen ein gleiches Geschehen greifbar gemacht werden kann, ergeben sich die Gefahren, die durch das Einsetzen von Worten zwischen Bildern entstehen können. Können, nicht müssen!
Das Filmbild, was immer auf ihm dargestellt sein mag, lebt – und das ist seine faszinierende Größe – in seiner absoluten Gegenwärtigkeit. Der Gedanke aber, der sich durch den Titel in den Film einschleichen will, schwebt im Zeitlosen. Hier ist der Teufel erkannt, der zwischen den Buchstaben gern sein Unwesen treibt. Wir wollen es mit ihm aufnehmen und nicht mit jenen gehen, die den Titel im Film als eine unwichtige, behelfsmäßige, unfilmische Angelegenheit betrachten.
Vor allem soll der Titel auf eine Form gebracht werden, die von vorneherein jede Möglichkeit ausschließt, von seinem geistigen Inhalt her poetisch, dramatisch oder irgendwie stimmungsvoll zu wirken. Diese Vermeidung von jeder Art gedanklichen Pathos nimmt dem Wort seine Durchsichtigkeit in literarischem Sinne. Nur dann hat das Wort im Film eine Berechtigung, wenn es Wichtiges für den Fortgang eines Geschehens mitteilt, was durch die Bilder- und Bewegungssprache des Films nicht oder in nur sehr umständlicher, tempohemmender Weise klar gemacht werden kann. Darin liegt zugleich seine Unersetzlichkeit an bestimmter Stelle und seine spezielle Eigenart als künstlerisches Ausdrucksmittel.
Eine nach diesen Gesichtspunkten orientierte Titelgestaltung erstrebt eine visuelle Annäherung an das Bild. Das Wort wird als Wort-Bild an die Oberfläche des Sichtbaren gerückt. Als solches bringt man die Schrift in ihrer Linienführung, Art und Größe, im Abwägen von Licht und Schatten in „Wohllaut“ zu ihrem lebendigen Vor- und Nachbild. Dabei sind dekorative Wirkungen zu vermeiden, da sie neben der Selbstgefälligkeit einer solchen Schrift die Klarheit eines derartigen Filmtitels stark beeinträchtigen. Denn das sei der Grundsatz: „Der Titel muß schnell zum Zuschauer gelangen“. [Sic!] In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß Anfänger im Titelzeichnen so gerne auf das Zusammenziehen einzelner Buchstabenformen verfallen, wie LA, LI, OTO usw. Damit vergessen sie nicht nur die Forderung auf Schnell-leserlichkeit, sie greifen zugleich auf unerfreuliche Blüten des Jugendstils zurück. Häufig begegnet man auch einer gewaltsamen Veränderung runder und spitzer Buchstabenformen in rechteckige: AA,
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DD, 00. In dem Bestreben nach einer geschlossenen Schrift ist hier die Leserlichkeit stark in Frage gestellt. Dagegen wird jede logische Variation der Schriftform, welche die klangliche Wirkung eines Wortes sichtbar in Erscheinung treten läßt, sofort erfaßt. Zum Beispiel, bei dem Aussprechen des Wortes „Strom“ verlegen wir eine breite Betonung auf das „o“, welche in der Titelzeichnung durch breite Behandlung dieses Buchstabens ausgedrückt wird. Jedes Bemühen a n s c h a u l i c h meinem Schwarzwaldfilm zu wirken, unterstreicht sinnbildlich das Filmthema. In Tannenland „recken sich die Buchstaben gleich Stamm an Stamm enggedrängt in die Höhe, die Holzfaser als Hintergrund betont zugleich das Grundmotiv des Films: Holz ist die Existenz dieses Volkes. Die Absicht, Titel und Bild in ihrer Anschaulichkeit immer enger zu verbinden, kann dazu führen, eine in den lebendigen Bildern des Films wiederkehrende Bewegung in den Titeln als Leitmotiv erscheinen zu lassen. In meinem Chiemseefilm „Land im See“ umspülen die Wogen in ewigem Auf und Nieder das kleine Eiland Frauenwörth. Diese Bewegung wird in den Titeln durch den Schwung der Linie weitergeführt, die in rhythmischen Kreislauf von Wellen-Berg und Wellen-Tal die Worte „1.Akt“, „2.Akt“ emporreißt, während sie „Pause“ und „Ende“ versinken läßt. Vorbereitende Aufgabe hat schon der Haupttitel, in welchem das Wort „Land“ mit stämmigen, trotzenden Lettern „inselgleich“ aus einer lebhaften Wellenlinie ragt. Die kontinuierliche Haltung der Titel wird man dann verlassen, wenn man von epischen Stoffen zu Spannungskomplexen übergeht, wie sie eine Spielhandlung in sich birgt. Die er- weiterte Anwendung der Titel, die neben ihrer bisherigen erklärenden Bedeutung nun auch als „Sprechtitel“ von einem anderen Gesichtspunkt aus eine Handlung weiter zu führen haben, wird sich in wechselnden und lebhafteren Aeußerungen der sichtbaren Form ausdrücken. So ist im Haupttitel meines Spielfilms „Das Lächeln der Mona Lisa“ durch trickmäßige Gestaltung die visuelle Spannung gesteigert: Einem lebendig gewordenen Holzschnitt gleich schieben sich Häuser mit Atelierfenstern auseinander, aus ihren Dächern steigt in großen Lettern der Titel des Films empor. Nicht allein mit den üblichen Zeichen der Schrift sollte das „Lächeln“ mitgeteilt werden. Es lag vielmehr in meinem Bestreben, durch Form
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und Linienführung der Lettern den Schriftsatz aus sich heraus sichtbar „lächeln“ zu lassen. Die Gesamterscheinung eines derart gestalteten Titels führt zugleich schnell und eindeutig in die Atmosphäre des Films ein. Eine noch weitergehende Symbolisierung verdrängt das Wort überhaupt. So tritt etwa an Stelle eines Titels „Nacht“ eine Trickzeichnung erlöschender Fenster.
Bei der Anwendung von Sprechtiteln lassen sich zwei Arten unterscheiden: Es kann die gesprochene Sprache in Form des Dialogtitels in den Film eingeschnitten werden, man kann aber auch einen Dialog durch ein einziges Wort andeuten. In meinem Film ersetzt z. B. das Wort „Meldung“, diagonal über die Gestalt eines Polizisten gelegt, Gespräche, wie die polizeiliche Anzeige, Befehle etc., die an dieser Stelle das Filmtempo hemmen würden. Der Dialogtitel ist, ästhetisch betrachtet, eine heikle Angelegenheit, denn keine Stimme sagt uns, aus welcher Richtung das Wort kommt. Ist ein solcher Titel nicht zu umgehen, so muß er sich in seiner äußeren, sichtbaren Form eindeutig auf die Person des Sprechenden beziehen, durch den Ausdruck der Linie Ruhe oder Erregung verratend. Wieder ein Beispiel aus meinem Film: Der sachlichen Ruhe eines Kriminalbeamten steht die Erregtheit eines Künstlers gegenüber: Senkrechte, in ihrer Knappheit frostig wirkende Lettern, ein unterlegtes Paragraphenzeichen teilen eine unabänderliche Tatsache mit. In einer beschwingten, doch von Unruhe getriebenen Schrift aber spiegelt sich der Zustand des Künstlers, dessen wachsende seelische Qual zugleich Spannungshöhepunkt des Films durch das Wachsen der Schrift sichtbar wird. Die Eindringlichkeit eines Wortes, durch das Größerwerden seiner Schriftzeichen veranschaulicht, aber steht und fällt mit der Laufzeit eines solchen Titels. Denn ein langgedehntes Wort hat einen anderen Sinn als ein ausgestoßenes. Damit sei erwähnt, wie sehr die Titelgestaltung in den Schnitt eines Films, seinen Rhythmus, also in seine Regie einzugreifen vermag.
Diese Betrachtungen ergeben, daß irgendwelche Methoden, auf schematische oder mechanische Weise zu Titelvorlagen zu gelangen, einem Film nicht nützen, sondern nur schaden können. Vielmehr ist der Titelzeichner von Film zu Film vor eine neue Aufgabe gestellt und Liebe zur Sache fördert das Gelingen.
(Transkript des maschinenschriftlichen Manuskripts: Dr. Karin Koschkar, 2023, Original befindet sich im Besitz der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass Gisela von Steiner)