Erwin Steiner: Die schöne Leich

Erwin Steiner: Die schöne Leich. Eine wahre Begebenheit

Hinweis: Die Texte von Erwin Steiner stehen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung. Sollten Sie aus einem der Texte zitieren wollen, dann geben Sie bitte die Vollständige Quelle an und senden uns einen Hinweis und/oder ein Belegexemplar zu: Erwin Steiner: „Die schöne Leich. Eine wahre Begebenheit“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de

„Ja, der alte Matthis hat halt a schöne Leich g habt!“ So erzählen sich heute noch die ergrauten Leute in dem kleinen, winkeligem Städtchen und tun so, als sei es erst gestern gewesen. Freilich, lang ist es her, seit der letzte Nachtwächter durch den alten, buckligen Torturm wanderte. Aber die Geschichte von dem schlauen Matthis und seiner wundersamen Leich hat halt doch keiner vergessen.

Daß der Matthis arm war wie eine Kirchenmaus, das wußte damals ein jeder. In den Wirtschaften wie in den Häusern der Bürger war er ein gern geduldeter Kostgänger. So aß und trank er sich durch und verrichtete stillvergnügt seinen nächtlichen Dienst.

Ein merkwürdiger Kauz war der Matthis schon! Zu seinen seltsamsten Eigenheiten gehörte die, daß er sich nur einmal im Jahre wusch. Und dies geschah an einem ganz bestimmten Tage, zu Johanni am 24. Juni.

Heut bad t si da Nachtwachta!“ hieß es in der Schule und die ganze lustige Gesellschaft tollte auf die alte, steinerne Brücke. Da war ein Lärmen und ein Jubel, wenn sich der Matthis seiner Kleider entledigte, sie umständlich wusch und an einem Baum aufhing. Unter dem Gelächter der Jugend patschte er hierauf selbst in der Fluß, spritzte, pustete und verweilte solange darin, bis seine Kleider wieder trocken waren. Der 24. Juni war also ein wichtiger Tag für den Matthis und das Städtchen und diese spaßhafte begebenheit wieserholte sich Jahr für Jahr.

In einem alten, hochgiebeligen Hause in Mitten eines blühenden Gartens lebte ein hochgeschätzter Mann, der Notar. Zu diesem kam eines Tages der Matthis und trug ihm bescheiden sein Anliegen vor: ,,Herr Notar, i werd halt allaweil älter und gebrechlicher. Weiss Gott, wie lang i no leb. I tät halt gern mei Testament machn!“  „Aber Matthis, „

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meinte der verwunderte Notar, „zu was brauchst denn Du ein Testament, wo doch ein jeder weiß, daß Du nichts hast!“ Da trat der Nachtwächter ganz nahe auf ihn zu und flüsterte geheimnisvoll: „I hab scho was, Herr Notar! I hab mir hübsch was erspart, blos weiß ka Mensch. So a 300 Gulden mag mei Zeugl leicht wert sein!“ Und er bat den Notar, die Sache bald zu erledigen und mit den Gebühren gnädig zu sein.

Bald saßen die beiden, der Notar und der Nachtwächter, beisammen und setzten das Testament auf. Der gute Notar kam nicht aus dem Staunen heraus, als er von Matthis s geheimen Schätzen vernahm.

Wie es so geht, nach einem halben Jahre war der Nachtwächter plötzlich gestorben. Der Notar schrieb pflichtschuldigst an die Erben und sie kamen in großer Menge herbeigeströmt. Sie, die sich niemals um den alten Matthis gekümmert hatten, erschienen mit großen, bändergeschmückten Kränzen. Blumen gab es in Menge, in feierlicher Pracht schlängelte sich der Zug durch das verwunderte Städtchen.

Als alle Lobreden über den reichen und doch so bescheidenen Mann verklungen waren, versammelten sich die Erben in Matthis s Stübchen. Das Testament wurde verlesen. Es war da von einem schönen, geschnitzten Schrank die Rede, von einigen ledergebundenen Gebetbüchern, von 138 Gulden, die sich in einer Schublade befinden sollten. Dann hieß es, die silberne Uhrkette bekäme dieser, den Siegelring jener, 25 Gulden seien der Base soundso und die Silbertaler demunddem Schwager zugedacht. So war alles rechtmäßig verteilt. Aber die Redensarten, mit welchen der Tote zu den Erben sprach, klangen recht spöttisch.

Nach Schluß der Vorlesung wollte nun jeder seinen Anteil in Empfang nehmen. Da entdeckte man mit Schrecken, daß überhaupt nichts da war, weder ein wertvoller Schrank, noch eine Uhrkette, noch Gebetbücher; kein einziger Kreuzer, geschweige denn Gulden oder Taler.

Da begann ein böses Schimpfen und Zetern auf den schlauen Matthis. Der aber hatte eine schöne Leich gehabt und das war die Hauptsache.