Erwin Steiner: Der neue Frack, undat.

Erwin Steiner: Der neue Frack, undat.

Hinweis: Die Texte von Erwin Steiner stehen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung. Sollten Sie aus einem der Texte zitieren wollen, dann geben Sie bitte die Vollständige Quelle an und senden uns einen Hinweis und/oder ein Belegexemplar zu: Erwin Steiner: „Der neue Frack“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de

Was man nicht alles seiner Liebe zu liebe tut: Ich hatte beschlossen, mir einen Frackanzug zu kaufen. Einen richtigen Frackanzug! Du kommst heute Abend im Frack zum Souper, verstanden,“ hatte sie gesagt, „ – – er wird Dir entzückend stehen!“ Nun ja, ich bin klein und dick, aber, kein Zweifel, ich werde allerliebst darin aussehen!

Schnell zu „Kohn & Comp.“, da wird man am reellsten bedient. Eben, als ich den kleinen Probierraum betreten will, schiebt sich ein ungeheuer langes und dürres Mannsbild durch den geöffneten Vorhang. Kaum kann ich meiner Verwunderung über diesen wandernden Kleiderständer Ausdruck geben, schon läßt mich der Verkäufer mit kühl-jovialer Handbewegung eintreten. „Sie wünschen auch einen Frackanzug?“ sagt er. Ich nicke sehr bescheiden und hätte zu gern mit einem „Schweiferl“ gewedelt, wenn ich zufällig eines bei mir gehabt hätte. Schon hat mich der Kleidermensch in der Reiss’n“ und – nicht zum Glauben – gleich das erste Frackgebäude sitzt mir wie angegossen. Der Verkäufer dreht seinen edelsten Körperteil nach Süden, macht eine Miene a la Bonaparte nach der Schlacht: „ – Bitte, das ist unser Patentschnitt für korpulente Herren!“

Glückstrahlend eile ich nach der Kasse. Doch der Lange, Dürre, mein verehrter Vorgänger, scheint meine Wege kreuzen zu wollen. Er wiegt sein edles Haupt in höheren Regionen und mißt mich aus seiner Fliegerperspektive mit einem geringschätzigen Lächeln. Dazu hat er auch allen Grund, denn erstens ist er bereits glücklicher Frackbesitzer geworden, wie dies der neben ihm stehende, wohlverpackte Karton bekundet, und zweitens zählt er zu den Auserlesenen, die der Chef des Hauses, J. Kohn, in ein vertrauliches Gespräch einwickelt. Dies vollzieht sich eben unter

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rhythmischer Betätigung der Achseln, Arme und Hände.

Das reizende Schnuckerputzi“ an der Kasse schnürt mir meinen Karton zusammen, ich lache dabei, als ob mich jemand kitzeln würde, und als sie mir diesen übergibt, lache ich noch mehr, stelle den Karton zu Boden, wie auch der Lange neben mir getan hat, und frage sie ganz leise, ob sie Sonntags schon etwas vorhabe. Sie blickt scheel zum Chef des Hauses und pipst: „Nein“. Da werde ich plötzlich überlustig, blinzle mit den Augen, packe schnell den Karton, stürme aus dem Laden.

Wenn es nur recht rasch Sonntag würde!

Du niederträchtiges Schicksal! Korpulent bin ich, ja, aber nicht dein Gummiball! Beglückt packe ich aus, am Tisch des Hauses, doch was müssen meine himmelblauen Augen sehen! Beinkleider ziehe ich aus dem Karton, die kein Ende nehmen wollen, eine Weste, so lang wie ein Gehrock, und einen Frack – geräumiger als ein Missionszelt.

Schlagbetroffen lasse ich mich auf die einzige, noch vorhandene Spiralfeder meines Sofas fallen: „ – – – der Frack des Langen – des menschlichen Lineals – des Hungergespenstes – des – des —. Verwechselt!! Lieber Herrgott, wozu hast Du solchen Kerl erschaffen! Fluch! Fluch über mich Unwürdigen, einen Frackanzug zu besitzen!

„Heute Abend im Frack zum Souper, verstanden,“ hämmert mein Gehirn. Eine Stunde ist noch Zeit. Die Spiralfeder schnellt mich in die Mitte des Zimmers.

Ein Versuch! Schnell in die Hosen! Unmöglich! Die Schleppe der Pompadour ist reiner Kitsch dagegen. Die Weste? Kein Schritt zu machen, man stolpert darüber. Und erst der Frack! — Mein Verehrtester, haben Sie schon einmal ein Känguruh gesehen? – Nicht? Dann schauen Sie mich in dem Frack da an, da haben Sie eines!

Stillschweigend setze ich mich wieder auf meine Spiralfeder und beginne darüber nachzudenken, mit welcher Waffe ein Selbstmord am angenehmsten sei. Doch plötzlich schüttelt mich ein so fürchterlicher Lachkrampf, 

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daß mich die Spiralfeder in weitem Bogen von sich schleudert.

Es ist aber auch zum Totlachen! Man stelle sich vor: dürre Mannsbild schlüpft in meinen Das lange, Frackanzug! Ich bitte, Patentschnitt für korpulente Herren! Wie ein Faltenrock umwatschelt das weite, kurze Höschen sein Storchengebein, einer Bauchbinde gleich zeigt sich das Westchen, allerdings an ungeeignetem Ort, denn es baumelt von der mageren „Hendl“-Brust herunter. Unästhetisch sitzt das Fräcklein im Genick, pludert, schlingert, zieht und rutscht, kitzelt, zwickt, kratzt und beißt an allen Ecken und Enden!

Angesichts dieser Lächerlichkeiten erscheint mir mein Geschick nicht halb so schlimm. „Was zu lang ist, kann man kürzer machen“, denke ich. Die Zeit ist kurz. Gedacht, getan. Bewaffnet mit der Papierschere rücke ich dem Frackungetüm zu Leibe. Alles wird verkürzt, die Frackschöße, die Aermel, die Weste, die Beinkleider. Ich schneide, schneide. Die Fetzen fliegen nur so herum. Ich bin mir meiner genialen Tat bewußt. Denkerfalten stehen auf meiner Stirne. Ich fühle mich den größten Geistern gleich. Wie heißt er doch gleich, der Mann mit der Eiergeschichte? Columbus! Ja, richtig, das Ei des Columbus! Hätte er es nicht erfunden, mir wäre das Patent zugefallen! Das stolze Werk ist vollbracht! Ich schlüpfe in die schwarzen Futterale, doch – fast zerbricht mir das Herz – sie sind zu kurz!! Zu viel habe ich Esel weggeschnitten! Alles ist hin! Caputto!

Neugierig gucken die „Wadeln“ hervor, das unbedeckte „Bäucherl“ fröstelt und aus dem armen Frack ist gar ein Kimono geworden.

Ich stoße Klagelaute aus, wie ich sie von wilden Völkerstämmen gehört habe. Doch nicht lange. Denn der schrille Ton des Telephons ruft mich in meinen Kulturstaat zurück: “ Hallo! – Hier Kohn & Comp. “ — Sie haben Karton verwechselt – sofort zurückbringen!“

Du großer Gott! Schweißtropfen perlen auf das Telephonkastl. Ein Blick auf die Uhr. Noch ist das Geschäft geöffnet. Der Teufelsfrack fliegt in den Karton und fort damit. – –

Die große Glastüre versetzt mir einen Schlag auf den Rücken.

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Bumps! Ich bin im Laden. Der Chef des Hauses, Herr J. Kohn, beginnt mit den Achseln mit mir zu reden, aber keineswegs vertraulich. „Ich als alter Kunde – -“, will ich eben sagen, doch es stockt mir das Blut, das dürre Schreckensgespenst taucht neben mir auf. Es sieht mich von oben herab an, aber nicht wie ein Flieger, sondern wie ein Adler, der sich auf ein unschuldiges Lamm stürzen will. Der Verkäufer nimmt ärgerlich meinen Karton weg. Wie ich ihm in das Gesicht blicke, bemerke ich, daß er eine Nase“ bekommen hat, meinetwegen.

Ich liebäugle mit der Glastüre und hege Fluchtgedanken. Der Chef des Hauses bemerkt und achselzuckt: „Nur Geduld, es muß nachprobiert werden!“ Das Unheil schreitet schnell! Der Lange verschwindet im Probierraum. – Das „Schnuckerputzi“ an der Kasse lächelt mich an. Ich bin personifizierter Magenbitter. Brrrr!

Das Schwert des Damokles schwebt über mir!

0, Ihr grausamen Götter! Durch den Spalt des Vorhangs springt wutschnaubend der Lange, in seinem von mir zugestutzten Frackanzug. Atembeklemmende Stille! Er duckt sich zum Sprunge. Das kurze, schwarze Höschen hindert in nicht. – – –

Mein Verehrtester, Sie bemerken, die Geschichte wird immer länger und der Frack immer kürzer aber was sich der Lange da wie einen Kragenschoner um den Hals gewickelt hat, ist schon überhaupt kein Frack mehr.

Gelingt der Sprung? Ich stoße eine schmerzensreiche Tonleiter aus, um an ihr emporklettern zu können. Doch schon hat mich der Chef des Hauses erfaßt und brüllt mir in die Ohren: „Schadenersatz!“ „Jawohl, Schadenersatz!“ klingt drohend die Stimme des Langen.

Der Macht des Stärkeren muß man weichen! Zitternd schleiche ich zu „Schnuckerputzi“ an die Kasse. Verberge meine Krokodilstränen, zahle. „Schnuckerputzi“ verschnürt meinen Karton und pipst: „Bestimmt Sonntag Abend!“

Froh eile ich von dannen mit meinem Karton, dem richtigen!

Nun schnell in den Frack und zum Souper!

Was tut man nicht alles seiner Liebe zu liebe!