Erwin Steiner: Der Mann ohne Bett, undat.
Hinweis: Die Texte von Erwin Steiner stehen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung. Sollten Sie aus einem der Texte zitieren wollen, dann geben Sie bitte die Vollständige Quelle an und senden uns einen Hinweis und/oder ein Belegexemplar zu: Erwin Steiner: „Der Mann ohne Bett“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de
Es war in jener uralten, österreichischen Stadt, die, so deutsch wie italienisch, dem geheimnisvollen Zauber unsichtbarer Mozartgeigen verfallen ist. Ein junger Maler hatte nun dies sein Ziel erreicht. Mit leeren Skizzenbüchern und guten Vorsätzen beladen, schlenderte er durch die engen Gassen. Bald betrachtete er sich die Stadt von oben, bald von unten. Er drehte und wendete sie. Er umkreiste sie. Er hatte eine solche Gier, alle ihre Herrlichkeiten schon am ersten Tage zu entdecken, daß er ruhelos Straßen und Plätze durchwanderte und in alle alten Winkel schlüpfte.
Gleich einem ungeduldigen Leser drängte es auch ihn dem Ende zu. Und diese Stadt, die so viele packende Geschichten zu erzählen wußte, hatte ein Ende, sogar – ein sehr dickes Ende! Sie hatte – im Baedeker nämlich – einen harmlosen Stern zu etwas ganz Harmlosen. Wer diesem Stern nachging, der mußte in einsamen Gassen ein fröhliches Gekicher vernehmen. Kurz und gut die Stadt hatte einen sehr berühmten Weinkeller und alle Fremden gingen dorthin. Auch jener Mann mit den Skizzenbüchern und vorerst noch guten Vorsätzen ließ sich dort nieder. Er streckte seine müden Glieder, schlürfte den goldgelben Wein, sah in die verrauchten Gewölbe, entdeckte allerhand sonderbare Gestalten und unleserliche Sprüche. Die Räume füllten sich und plötzlich war sein Tisch von einer seltsam zusammengewürfelten Gesellschaft eingenommen. Verschiedenste Unterhaltungen berührten sein Ohr, er sprach nichts, trank, besah sich die Kobolde im Gewölbe und trank wieder. Ebenso plötzlich verflüchtigte sich die Tischgesellschaft, er war wieder allein. Zurückgelehnt trank er, starrte die Geister des Gewölbes an, die
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Mehr und mehr an Leben gewannen und auf ihn zukamen. Und in den verrußten Sprüchen waren Dinge zu lesen, die der Teufel selber erfunden haben mußte.
Basl saß er ellein im ganzen Keller. Die Laternen erlöschten und man sagte ihm, es wäre Zeit.
Die Straße draußen kam ihm geisterhaft genug vor. Er wollte heimgehen. Die Kellergeister kicherten: „Jawohl heimgehen!“
Heimgehen?
Ja, wo war er denn zu Hause?
Als er des Morgens in dieser rätselhaften Stadt ankam, mußte er weit laufen, von Gasthof zu Gasthof, bis er endlich Unterschlupf fand. Es war die Zeit der Festspiele und alles war überfüllt. Nun gaukelten ihm alle Hotelnamen durch den Kopf. Ob „Goldenes Schiff“, „Goldene Krone“ oder „Goldener Hirsch“, „Blaue Gans“ oder „Elefant“, ob „Engel“ oder „Hölle“, er wußte es nicht mehr.
Da faßte er sich ein Herz und gestand einem einsamen Nachtwandler seine Verlegenheit. „Ja, wie hat’s denn von auß’n ausg’schaut?“ Der Maler mit den guten Vorsätzen besann sich: „A Glasdach hat’s g’habt und a Bog’nlamp’n!“ – – „A da „Ritter“! Glei‘ hier und hier!“
Der Obdachlose steht vor dem verschlossenen Hotel, zieht rasch entschlossen an der Nachtglocke. Hinter dem Türspalt brummt der Aufschliesser. Der Mann ohne Skizzenbücher. (die hat er nämlich vergessen oder verloren) tut sehr bescheiden: „Bitte, wohnt hier ein Herr – Niedermaier?“ (So also ist sein Name.) Der Hausdiener sieht in das Fremdenbuch. „Hier legiert kei – Herr Niedermaier!“ Fordert sein Sperrgeld, schlägt mit Krach die Türe zu.
Der junge Mann ist um eine Hoffnung ärmer. Aber er hat noch mehr dieser Art auf Lager. Darum wandert er zum nächsten Gasthof. Pocht an: „Bitte, wohnt hier ein Herr – Niedermaier?“ – „Nix, mir ham kein‘ Herrn – Niedermaier!“
So geht’s von Hotel zu Hotel. Und die vielen Sperrsechser! Immer leere wird sein Beutel!
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„Bitte, wohnt hier ein Herr – Niedermaier?“ Was woll’n S‘ denn von ihm ?“ – – „Ich bin gerufen. – – Ich bin der Arzt!“ – – „Wann’s kei Obermaier sei darf, nacha is eh nix z’mach’n!“
Verbrauchte Hoffnungen, müde Beine, Morgengrauen und Nüchternheit. Er beschließt, im nächsten Hotel die Wahrheit einzugestehen. Frägt nicht mehr nach „Herrn Niedermaier“, erzählt kurz und bündig sein Mißgeschick und bittet um ein kleines Plätzchen, wo er noch etwas schlafen könnte.
Der Aufschließer verliert seine Schlaftrunkenheit, weil es ihn vor Lachen schüttelt. Dann, nach geraumer Zeit meint er: „- – ja, es is halt all’s b’setzt, aber wenn S‘ bei mir auf ‚m. Sofa schlof’n woll’n?“
Also der junge Mann schlief auf dem schmalen, abgewetzten Ledersofa des Hausmeisters, schlief ohne Skizzenbücher und ohne Vorsätze, schlief, bis ihm die Mittagssonne ins Gesicht strahlte. Als er endlich erwacht und wieder auf den Beinen war, forderte der menschenfreundliche Gastgeber eine „Kleinigkeit“, die für ihn, den Schwergeprüften, keine Kleinigkeit war. „ – – übrig‘ns, es wär no a Zimmer frei g’wen. Der Herr, der’s gestern b’stellt hat, is net heimkomma!“
„Wie heißt er??“
„Wie er heißt? – – Hm! – – – Niedermaier!“
Ich ging auf mein Zimmer und verschlief meine Wut.