Erwin Steiner: Borotins Experiment, undat.

Erwin Steiner: Borotins Experiment, undat.

Hinweis: Die Texte von Erwin Steiner stehen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung. Sollten Sie aus einem der Texte zitieren wollen, dann geben Sie bitte die Vollständige Quelle an und senden uns einen Hinweis und/oder ein Belegexemplar zu: Erwin Steiner: „Der neue Frack“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de

Borotin, der Russe, stand in seinem Laboratorium. Ein Raum mit allerhand staubbedecktem Gerät, schwarzverraucht und erfüllt von Schmutz, Kälte und sonderbar süßlichem Gasgemisch. Borotin war in einen häßlich-grauen Schafpelz gehüllt, der Spuren verschütteter Säuren aufwies. Sein Gesicht war hager, mit stark hervortretenden Backenknochen und kleinen, blutzersetzten Augen. Der Mund vergraben in wirrgekräuselten, grauen Barthaaren. Durch spinneartige Finger ließ er seine Notizen gleiten, deren er ganze Berge hatte und die ebenso von Schmutz starrten wie er selber. Diese Aufzeichnungen waren sein Lebenswerk. Borotin wußte, die Wissenschaft würde ihm einst heißen Dank sagen. Noch aber loderte ein rätselhaftes Fragezeichen aus der Vermessenheit seiner Experimente. Es schien, als wollte sich die Natur ihr heiligstes Geheimnis nicht entreißen lassen.

Zerfressen hatte Zeit und Schmutz die Aufschrift seiner ältesten Blätter. Um so tiefer war sie in das Gehirn des Gemarterten eingemeißelt :

DIE SYNTHETISCHE

MENSCHWERDUNG.

In der Mitte des Laboratoriums stand eine seltsam lange, mit Kupferringen umfaßte Retorte. In diesem gläsernen Sarge lag ein nackter Frauenleib von unerhörter Schönheit und Ebenmäßigkeit. Sinneverwirrende Verkörperung aller menschlichen Ideale war hier genialer Gestaltungskraft entsprungen.

Vor Jahren hatte Smirnoff, der Bildhauer, dies herrliche Werk geschaffen. Borotin aber war nicht der Mann, der sein schmutziges Laboratorium mit Kunstwerken schmückte. Die Plastik in seiner Retorte mußte einen verborgenen, rätselhaften Sinn haben. Der magische Zauber dieses Geheimnisses war es, daß er tief und tiefer in die Vorgänge der Natur hineinwuchs, überreich phantastisches, verschnörkeltes Denken ihn immer mehr von der Alltäglichkeit menschlichen Umgangs entfernte.

 

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Geistvolle Verherrlichung göttlichen Ursprungs, selbstgefälliger, nackter Sinnlichkeit! So schön auch Smirnoffs modellierter Leib sein mochte, Nachbilder des Lebens war Borotin.

Nachbilder des Lebens?

Still lag der rätselhafte Leib.!

Nun Borotins und Smirnoffs Geheimnis:

In heißer, fieberhafter Erwartung wurde einst eine Gestalt geformt. Aufgebaut mit einem Material, wie es noch nie durch die schaffenden Hände eines Bildhauers gegangen war: Mit den Bausteinen des Lebens! In einer Flut unendlicher Tage und Nächte hatte Borotin den Organismus des Menschen erforscht, seine chemischen Bestandteile errechnet. Ein Ringen in Kühnheit und Verzweiflung mit Gesetzen und Formeln! Bau neuartiger, seltsamer Geräte, Experimente mit Gasen und Metallen, widerlich, gefährlich, erfolglos. Zersplitterte Retorten, wunde Hände, brennende Augen. Dann wieder von neuem. —

Endlich nach unsagbarer Mühe und Energie lagen die Bestandteile des Menschen in Borotins graubekrusteter Werkstätte. In Glaskolben verschiedenster Art bereitet, warteten sie ihrer Zusammensetzung.

Die Stunde der Menschwerdung kam.

Tiefgrau, in verhaltener Starre, lag der Alltag vor den blinden Scheiben. Im Schmelzofen zitterte, flackerte ein unruhiges Feuer. Schwarze, fürchterliche Ungewißheit hing von der Decke.

Die beiden Männer in ihren beschmutzten Schafsfellen arbeiteten. Mechanisch vollbrachten ihre Hände, was jahrelanger Kampf ihnen auferlegte. Kalt waren die Geräte, die sie berührten, kalt, sachlich ihr Denken. Blanke, gemeine Nüchternheit breitete sich über ihr Werk. So kam ihnen das Ungeheuere dieser Stunde kaum zum Bewußtsein.

Smirnoff entfernte die formgebenden Ringe.

Weite, erwartungsvolle Blicke bohrten sich durch die Glaswand.

 

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Ein schöner weiblicher Körper, das Ebenbild von Smirnoffs Modell, lag licht und schimmernd in der Retorte.

Beide sahen sich an. Es wankten ihre Kniee. Die Welt stürzte über ihnen zusammen.

Das Wasser brach ihnen aus den Augen, so unfaßbar war ihr Glück! Borotin und Smirnoff, Schenker des Lebens und der Gestalt, hatten soeben den ersten synthetischen Menschen gezeugt!

Nach geraumer Zeit erst sahen sie aus dem nassen Schleim ihrer Augen.

Sie erschraken!

Sie klammerten sich and die Retorte!

Der Leib war nicht zum Leben erwacht!

Sie rissen an allen Hebeln! Strom durchsetzte die Pole, durchfloß den Körper. Mehr, immer mehr!! Unheimlich, gräßlich leuchtete das Gesicht der Schönen im Ultra-Licht der Röhre.

Krampfhafte Spitzfinger klappten die Hebel zurück.

Hart, metallisch! Aus!!

Todesstille. Ganz kurz nur.

Dann grelle Schreie aus Borotins Munde:

„—eine – synthetische – Leiche—“

Eine –synthetische—Leiche, äfften die Wände.

Gläser klirrten. Smirnoff wankte. Fiel über einen Kolben, der sich rollend zwischen seine Füße schob, raffte sich auf, floh mit schweren Beinen. Draußen im Schnee brach er zusammen. — Tot.

Soviel von der Geburtsstunde des synthetischen Menschen.

Das Gesicht Borotins war mit tiefen Furchen gezeichnet. Ueberzogen sein Laboratorium von dem Schlamm der Zeit. In unveränderter Schönheit aber lag der herrliche Leib, abgedichtet in gasgefüllter Retorte. Drei, vier Jahrzehnte verbrachte Borotin schon an Seite der Leblosen, alterte in der

 

 

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Hoffnung, ihr doch einmal das Unbegreifliche, Heiligste schenken zu können:

Das Leben!

Borotin war nicht geisteskrank. Aber man hielt ihn dafür, hatte Furcht oder Mitleid. Sein sonderbares Tun war nicht unbemerkt geblieben und so betrat man seine morsche, baufällige Isba nicht gerne. Den nötigsten Unterhalt mußte er sich suchen, bei scheuen Bauern, oder nach langem, mühseligen Gang über die Schneefelder in der Stadt. Dann wieder verkroch er sich wochenlang in seiner kalten Hütte, saß über seinen Aufzeichnungen und tollen Experimenten.

Manchmal lag er am Boden, vor der Retorte oder umklammerte sie und schrie, daß es von allen Wänden widerhallte:

„Das Leben — das — Leben!“

Durch dunkle, grausame Tage und Nächte schleppte er sich, angeschmiedet an eine wahnwitzige Idée:

Etwas gab es.

Etwas Kostbares, das von Leben zu Leben ging und alles Sein erwärmte.

Etwas Flüßiges, Rotes.

Etwas, das auch sein Geschöpf durchtränkte mit heißer, inniger Glut, die lautlose Blässe des Leibes erfüllte mit dem Rauschen ihrer Seele. Das Herzblut einer werdenden Mutter.

Ruhelose, wirre Gedanken trieben ihn. Er ging, das Weib zu suchen, das sich seinem Experimente aufopferte.

Schwer ballte sich der Schnee unter seinen Tritten, eisige Kälte stemmte sich ihm entgegen. An seiner Seite knisterte, klirrte die weiße Pracht erstarrter Tümpel und Seen. Endlich, müde und erschöpft, erreichte er die sonst nahe Stadt.

Groß und weit war Petersburg!

Nachdem er in einer Schenke Wodka, das unvermeidliche, beißende Getränk geschlürft hatte, begann er zu suchen.

Er suchte, suchte.

 

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In Wassilij Ostrow betrat er jede der schmutzigen Kaschemmen, mischte sich unter das zusammengewürfelte Volk, das aller Welt Zunge redete. Das Hafenviertel durchstreifte er nach allen Richtungen, forschet in heimischen Barken oder fremden Schiffen. Gelehrte, Aerzte suchte er auf, wühlte in der eleganten Großen Morskaja. Dann wieder war er in den elenden Holzbuden der Vorstädte, im Bereich der Fabriken, bei Abtransport der Strafgefangenen.

Ueberall, wohin er kam, loderte seine brennende Frage. Aber Grauen, Entsetzten starrte ihm aus weiten Augen entgegen.

Verworfene, Trunkergebene, Verzweifelte.

So elend war die Elendste nicht unter ihnen, daß sie sich solch Fürchterlichem preisgab.

Borotin schritt wieder über weißes Land.

Gebrochen, hoffnungslos kehrte er zurück, erfüllte die kalte, tote Isba mit seinem Jammer.

Stumm, aber eindringlich forderte der eingeschlossene, lichte Leib.

Forderte das Leben!

Borotin konnten keine Ruhe finden. Erraffte sich auf. Nochmals ging er zu suchen das Weib.

Jahre viele lange Jahre suchte er.

Blutrotes Völkerringen strampfte die Erde, es wankte das alte, heilige Kaiserreich, tausendjährige Fesseln sprengte die Freiheit, bolschewistische Flamme färbte das Land.

In Petersburg aber kreiste ein alter Mann um seine fixe Idee, automatisch, gesetzmäßig, wie ein Planet um die Sonne.

Ein kleines, morsches Haus vor der Stadt ward von den Dünsten einer Pulverfabrik mit schmutzig-gelben Schlamm überzogen.

Kalt, verlassen lag nun die Fabrik.

Im Innern der Isba aber schimmerte ein seltsames geisterhaftes Wesen durch staubbedecktes Glas. Nicht tot, da nie Leben besaß, wartete es.

Müde, abgestumpft irrte der Suchende. Bis unerwartet folgendes geschah:

 

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Im Schutze des Morgennebels erstieg ein junges, schwangeres Weib das Geländer der Nikolajbrücke. Und er, Borotin, er – er – sah es!

So schnell ihn seine alten, schwachen Beine tragen konnten, eilte er hinzu und es gelang ihm, die Lebensmüde zu erfassen. Atemlos vor Erregung überschüttete er sie mit Liebkosungen. Krassawiza! Du Schöne! Mein Seelchen! Mein Täubchen!“ Er schrie und küßte sie, wohin sein Mund gerade taumelte. Dann wieder klammerte er sich an sie, verkrampfte seine Hände, aus Freude des Besitzes, aus Angst vor Flucht.

Was er immerzu sah, waren große, weite, unstät flammende Augen. Stummes Bekenntnis einer verirrten Seele, verzweifeltes Ringen triebhaften jungen Lebens um Menschenurteil, Selbstachtung und Vernichtung.

Langsam, ganz langsam überzog weicher, zarter Schmelz ihre zitternden Pupillen. Aus dem Rauschen trüber Wasser schwang sich befreit der wunde, kranke Sinn.

Borotin schloß die Augen. Sein Lebenswerk zog an ihm vorüber. Er sah die Opfer: Smirnoff, jetzt das junge Weib, vielleicht sich selbst. Aber etwas forderte, forderte unaufhörlich mit der Beständigkeit eines Uhrwerks, forderte, jagte, peitschte ihn der Vollendung entgegen. Er mußte tun, was zu tun er verdammt war.

Wieder umgab er die Gefundene mit lieben und guten Worten, tröstete sie und bat sie, mit ihm zu kommen.

So gingen beide schweigend den selben Weg, den er oft allein, hilflos in Not und Qual zurückgelegt hatte.

In der kalten Isbå bettete er sie auf sein Lager, hüllte sie in alle seine Decken, gab ihr zu essen von seinem letzten, kargen Vorrat. Dann kauerte er sich zu ihren Füßen und eilige, treibende Gedanken hämmerten an seinem Werk.

Einen Tag und eine Nacht ließ er sie ruhen. Dann führte er sie in sein Laboratorium, vor die Retorte. Zeigte ihr unter staubgrauer Kruste den rätselhaften, grausig-schönen Leib. Knappe, eisenharte Worte, unter verhaltenem

 

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Beben von seinen Lippen geformt, besagten, was er zur Erfüllung seiner großen Idee von ihr erwarte.

In dem Oval ihres blassen Gesichtes brannten zwei schreckhafte Augen. Weit und groß starrte das Grauen aus ihnen.

Borotin kannte diese Augen! Es waren die selben Augen, die ihm überall begegnet waren.

In plötzlicher Eingebung hastete er durch den Raum. Leise schlürfend, katzenartig schlich er zu Fenster und Türen. Oeffnete sie alle, zeigte ihr die Freiheit.

Unstät hastete der Blick des Weibes über den Kristall endloser Eisflächen, verirrte sich in einer grauen, dichten Nebelwand, die in ihrer Tiefe irgendwo jene große Stadt gefangen hielt.

Mutlos, ein verzittertes Nichts, kehrte sie zurück.

Sie wußte, was draußen ihrer harrte.

Feucht und kalt fiel der Mantel des Leids über ihre Seele. Dunkle, trübe Flut umrauschte den Sinn. In stummer Selbstbefreiung preßte sie ein zweites Mal die Augen zu.

Türen fielen in ihr Schloß. Fenster in ihre Riegel.

Sie vernahm es.

Seinen Atem spürte sie, der sich kriechend und widerlich um sie ringelte. Keuchende Worte drangen in ihr stilles, goldenes Innere, heiß und brennend seine letzte Frage. Blaues Dämmern wachte über sie, seinen zarten Schwingen lauschte das Herz. Fern und ferner klang die Stimme des Anderen, verhallte in sich selbst. Ein seltsames Wohlgefühl dumpfen Schmerzes und ihre Seele versank in grundlos tiefe, ewige Nacht.

Flüssiger Purpur füllte eine feine, dünne Glasröhre. Prüfend hielt sie der Alte gegen das Licht und die verzerrte Larve seines Gesichts überzog sich mit blutrotem Schein.

Tage und Nächte fanden Borotin nun über sein Geheimnis gebeugt. Gelb und dürr war das Leder seiner Haut, blutunterlaufen das Weiß der Augen. Gezeichnet die Stirne von dem Ungeheueren seiner verirrten Gedankenwelt.

 

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In ewig wiederkehrender Bewegung bediente die Mechanik seiner Finger eine kleine, offene Flamme, hielt unermüdlich neue Proben jener dick-dunklen Flüssigkeit über sie. Vergilbte Blätter bedeckte er mit torkelnder, unleserlicher Schrift. Saß nächtelang im Dunkel, bis ihn der kommende Tag von der Starrheit seines Geistes und Leibes befreite.

Mißerfolg und Verzweiflung gaben ihm den Plan zur Flucht. Doch mit letzter Anstrengung schleppte er sich vor die Retorte, legte seine Spinnefinger in ihren Staub und schwor nicht eher zu weichen, bis sein geheimnisvolles Serum das Wunder des Lebens vollbracht hätte.

Wieder arbeitete er.

Arbeitete Fieberhaft. Ohne Speise, Trank, Schlaf.

Wie unsichtbar treibende Kraft Zahnräder stetig kreisend in einander preßt, so fiel Gedanke auf Gedanke, folgte Tat auf Tat.

Endlich gehorchte das Rote seinem Willen.

Die Zersetzung gelang.

Seine trockenen Lippen formten seltsame, fremde Laute. Er schrieb Worte ohne Anfang, ohne Ende. Sein Haus war von einer großen Menschenmenge erfüllt. Er ordnete sie. Er bestieg einen Stuhl. Er breitete die Arme aus. Er redete hohl, heiser, unverständlich, von sich, für sich.

Rastlose Arbeit hatte Gestalt angenommen.

Borotin hielt einen kleinen, silberhellen Kristall in seinen Händen. Sachte, fast streichelnd, behüteten seine Finger das Juwel. So schritt er auf die Retorte zu.

Mit den schäbigen Aermeln seines Schafpelzes wischte er einen dicken, staubgrauen Schleier hinweg. Blank und licht lag nun der wundersame Leib vor ihm. So schön und unberührt wie ehedem, als Smirnoff die formgebenden Ringe entfernte.

Er betrachtete sie lange von Angesicht zu Angesicht. Plötzlich aber stieß er ein Lachen, spitz und grell, von sich. In wilder Vermessenheit, ewiger Natur zum Hohn, streckte er das belebende Kleinod hoch über sie.

 

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Das Dynamo begann leise und dann schrill zu singen. Der Alte beugte sich über die Retorte, schaltete den Kristall in den Stromkreis der Röhre.

Kurze, bange Augenblicke!

Eiskalter Schweiß bricht ihm aus den Schläfen. Angst und Grauen umschließen gefrierend seine Glieder, in randloser Spannung bebt das Herz. Einmal noch holt er tief-rasselnd Atem.

Die zweite Geburt des synthetischen Menschen:

Rasende Hand reißt den Hebel nieder. Zischen, Prasseln der Ströme. Blitzschnelles Aufflammen. In blau-glimmernder Durchleuchtung schwimmt der rätselhafte Leib.

Borotin sinkt in die Kniee, nicht erschöpft, aber in fürchterlicher Erwartung, der Urbeweger, der Spender allen Lebens, möge ihm zum Siege verhelfen oder ihn um seiner wahnsinnigen Idee willen zerschmettern.

Blasenartige, silberhelle Ringe tauchen aus dem Blau des Ultralichts, durchschweben den Leib, hüllen ihn allmählich in weichen, zarten Hauch.

Mit großen, weiten Pupillen starrt Borotin. Anderes und anderes sehen seine Augen als die irgend eines Menschen:

Geheimes Knistern erschüttert die lautlose Ruhe des Körpers, maßlos kleine Krater und Täler durchbrechen seine Glätte. In ihren Poren atmet die Haut.

Ein Netz blauer Adern jagt mit vielfältigem Geäst durch das wachsartige Fleisch.

Geisterhafte Melodie singen die Ströme.

Unter dem Gleißen ihrer Strahlen sieht er die Brust sich wölben, langsam, frei und weit sich heben.

In hilfloser Angst und Erwartung klebt Borotin an den heißen Wänden der Retorte. Sein Gesicht, sein Sinn sind nichts als glutrote, brennende Augen.

und die atmende Brust, sie senkt sich wieder.

Nach endlos erscheinender Weile bemeistert er seinen Schrecken.

Wagt nach ihrem Antlitz hinzuspähen.

 

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Sein Haupt liegt nun dicht neben dem ihren. Nur die Glaswand trennt sie. Schielend beobachtet er, was in den bleichen, regungslosen Zügen vor sich geht.

Blut läuft in die aschfahlen, grauen Lippen, bis sie voll, gesättigt sind. Roter Hauch hastet über die steifen Wangen. Spitzen Nadeln gleich schießt ein blonder Vorhang aus halbgeöffneten Lidern.

Schauder befällt Borotin. Er will sich erheben. Es fehlt ihm die Kraft. Angeschmiedet an sein unheimliches Werk liegt er.

Seine weiten, wunden Pupillen und sein irrer Geist aber sehen das Gräßlichste:

Ihre Augen!

Stahlgraue, eiskalte Augen,

Nicht Menschenaugen.

Nicht Tieraugen.

Stumpfe, ausdruckslose Löcher.

Leer. Glanzlos.

Ohne Seele.

Mit gebanntem Blick hängt Borotin an der ekelerregenden Erscheinung. Er hat nicht den Mut, sich abzuwenden oder die Augen zu schließen. Immer wieder und wieder muß er das eisige, durcheinander sausende Grausen in sich aufnehmen.

Die klaffende Kälte ihrer Sehöffnungen schlägt sich wie ein nasses Laken um sein Gehirn. Er fühlt die unermeßliche, raumlose Kluft zwischen ihm und ihr, fühlt die wachsende Feindseligkeit, die aus ihren filz-rauhen Pupillen dringt.

Er wird belauert, pantherartig, blutdürstend belauert. Darum darf er keinen Blick von ihr wenden. Dieser Gedanke versetzt ihn für geraume Zeit in eine geistlose Starre.

Aus seinem tiefsten Innern aber wälzt sich urpötzlich sieghaftes Bewußtsein, endloser Jubel bricht aus glasig-irren Augen:

Sie lebt! Sie lebt!!

 

 

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Dann, augenblicklich, will er sich von ihr losmachen. Stemmt sich mit aller Gewalt gegen die Retorte.

Und nun geschieht das Letzte, Entsetzliche:

Ein Klirren. Bersten.

Fürchterliches, knallartiges Getöse.

Zischen entweichender Gase.

Die weiße Teufelin entspringt ihrem Sarge.

Sie zerfällt.

Ihre Asche und die zersplitterte Retorte bedecken den toten Borotin.