Erwin Steiner: Der kranke Maxl
Hinweis: Die Texte von Erwin Steiner stehen für wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung. Sollten Sie aus einem der Texte zitieren wollen, dann geben Sie bitte die Vollständige Quelle an und senden uns einen Hinweis und/oder ein Belegexemplar zu: Erwin Steiner: „Der kranke Maxl“, undat., Originalmanuskript in der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung, Nachlass von Gisela von Steiner, www.erwin-steiner.de
Der erste Glockenschlag – Professor Graustingl fegte in unsere Klasse. Mit einem seiner berühmten, geißbockartigen Sprünge erstürmte er das Katheder, musterte uns reichlich mißtrauisch durch seine dicken Brillengläser.
Graustingl war kurzsichtig, sehr, sehr kurzsichtig. Aber so viel sah er doch, daß der Wieselsberger Maxl in der zweiten Bank über und über käsweiß war. Da befiel ihn ein leises Rühren und fast weinerlich sagte er: „Aber, mein liebes Kind, – Du bist ja ganz bleich! – Was fehlt Dir denn? — So komm doch heraus und laß Dich ansehen!“
Keine Antwort ist auch eine. Schweigend ging der bleiche Maxl hinaus. Professor Graustingl schob seine Brille in die Höhe, betrachtete den Erkrankten sehr liebevoll aus allernächster Nähe. Weiter wäre nichts geschehen, hätten seine Finger nicht durch eine zärtliche Berührung des Maxls ganz ähnliche, krankhafte Symptome aufgewiesen. So aber schwollen ihm plötzlich die Adern an, gewitterhaft runzelte sich die Stirne, die Brille fiel ihm auf die Nase. Blaurot vor Wut, fauchte er: „ – – Du Lausbub, Du Malefizkerl, – Du bist ja mit– Kreid’n weiß ang’strich’n!!“.
Er packte den Maxl sehr unsanft an seinen abstehenden Löffeln, schleppte ihn augenblicklich auf das Rektorat. Hier, im Vorzimmer, hieß er den Missetäter warten und verschwand dann mit seinem Zorn im
<2>
„Allerheiligsten“. Während nun der Maxl, allein mit seinem Schicksal, der neuen, gewissermaßen unbehaglichen Umgebung nähere Beachtung schenkte und seine Blicke an dem großen Kachelofen haften blieben, ging drinnen das Donnerwetter los:
„Also – dieser Lausbub – dieser Lausbub – – ich bin ganz fassungslos – – streicht sich mit – Kreid’n weiß an und – – Der Rektor aber hatte sich in seinem Leben schon so viel geärgert, daß er sich nicht mehr ärgern konnte. Darum sagte er seelenruhig: „Nur keine Aufregung, mein lieber Herr Kollege, lassen Sie den Burschen hereinkommen, ich werde ihm schon das Nötige sagen.“
Der Professor öffnete die Türe: „Wieselsberger!! „
Ganz bescheiden kam der Maxl herein.
Die Gesichter der beiden Gestrengen aber erstarrten, als hätte man ihnen eben das Medusenhaupt vor Augen gehalten. Wie versteinert hingen ihre Blicke an dem Maxl. Kein Wort des Tadels konnten sie hervorbringen. Eine Weile betrachteten sie kopfschüttelnd sich selbst, dann wieder staunten sie den rätselhaften Maxl an.
Endlich brach der Rektor das lähmende Schweigen: „ – – und das, lieber Herr Professor, nennen Sie weiß angestrichen, der Kerl ist ja – – kohlrabenschwarz angestrichen!!“
Wieder verfielen die Gelehrten in nachdenklichen Tiefsinn. Der schlaue Maxl aber lachte still in sich hinein: Als „Weißangestrichenen“ hatte ihn der Alte verpetzt. Darum war er nicht faul gewesen und – ja, der große Kachelofen hatte es doch in sich erschienen – war er als „Schwarzer“ erschienen.
Ob weiß, ob schwarz, zuerst weiß und dann schwarz, nicht weiß und nur schwarz, diese Streitfrage hatte in den beiden Köpfen eine große Verwirrung angerichtet. So entging der Maxl für diesmal wieder der gerechten Strafe.